Vorwort Tandem—in der Lehre bei Anke Feuchtenberger
In German
Vorwort zu der Publikation „Tandem—in der Lehre bei Anke Feuchtenberger“ MamiVerlag, Hamburg 2023
„Damit Sie mit dem Herzenoffen zum Objekt stehen.“
Das Wichtigste ist, genau hinzuschauen, nach innen und nach außen. Das haben wir von Anke gelernt. Wir haben gelernt, dass, wer Geschichten zeichnen will, aushalten muss, dass sie klein anfangen und Zeit und Hingabe und Disziplin brauchen, um zu wachsen. Dass es eine Möglichkeit ist, mit einer ergebnisoffenen Haltung der Zeichnung zu folgen, um eine Erzählung daraus zu entwickeln.
»Anke hat mich gelehrt, der Zeichnung zu vertrauen«, so oder ähnlich haben einige es formuliert. Anke hat uns oft gesagt, dass es eine demütige Haltung der Zeichnung gegenüber braucht. Jetzt, wo ich es hier schwarz auf weiß behaupte, bin ich mir nicht mehr sicher: hat sie es wirklich gesagt? Vielleicht habe ich über Demut im Zusammenhang mit Zeichnen in Wirklichkeit mit einer Kommilitonin gesprochen. In meinem Kopf ist ›Demut vor der Zeichnung‹ mit Anke verbunden. Ich behaupte: Sie könnte es gesagt haben.
Auf althochdeutsch bedeutet Demut ›Gesinnung eines Dienenden‹. Das passt zu dem, was Anke uns vermittelt hat: Wir erzählen und zeichnen im Sinne von dem, was da ist, ohne es aufzubauschen, möglichst ohne zu viel zu wollen. Im Akt des Zeichnens, im genauen Hinschauen, verbinden wir uns mit unserer Umgebung und verbinden unsere Umgebung mit dem Fluss unserer Gedanken. Und die Zeichnung selbst will ernstgenommen werden. Sie vermittelt uns etwas, was wir davor nicht wussten, nicht wissen konnten. Sie verlangt eine Aufmerksamkeit, die nicht anders als demütig sein kann. So dienen wir immer auch der Zeichnung. Motive, Charaktere, künstlerische Praktiken, die wir auf diese Weise im Studium bei Anke für uns entdeckt haben, begleiten viele von uns bis heute. In ihren Kursen haben wir in ausführlichen Gesprächen über unsere Zeichnungen und Geschichten eigene Wege gefunden. Anke bringt ihren Studierenden von Anfang an Respekt entgegen. Respekt und auch Unterstützung für diverse Lebensumstände: Sei es hinsichtlich Verpflichtungen durch Elternschaft oder anderweitiger Care-Arbeit, bürokratischer Hürden für ausländische Studierende oder problematischer Lebenslagen aller Art: viele vonuns haben Unterstützung und Solidarität durch Anke erfahren. Und sie hat unseren Wunsch, Zeichner: innen zu sein, respektiert und uns als Künstler:innen ernst genommen. Das ist ein ganz zentraler Punkt. Für einige Studierende hat die Frage nach der eigenen Daseinsberechtigung an einer angewandt – künstlerisch ausgerichteten Lehrinstitution, an der die Frage nach Vorhandensein und Verwertbarkeit von »Talent« oft im Raum (oder zumindest im Kopf) steht, etwas Beängstigendes. Deshalb ist es wichtig, ein respektvolles, aufmerksames Gegenüber zu haben. Ein forderndes Gegenüber, das Disziplin und Hingabe zur eigenen Arbeit verlangt. Anke erwartet von uns, dass wir uns selbst ernst nehmen. Genau zuhören und hinsehen und versuchen, zu verstehen, worum es geht und in welche Richtung es weiter gehen könnte.
Wir haben gelernt, uns selbst diese Fragen zu stellen und unsere eigenen Wege als Zeichner:innen zu verfolgen. Eine Beitragende schreibt zu ihren Zeichnungen, Anke hätte ihr in einem Kurs geraten, nicht über die Schulter, sondern direkt auf das Objekt ihrer Zeichnung zu schauen. Sie solle sich »mit dem Herzen offen zum Objekt« stellen. Das klinge vielleicht esoterisch, hättest Anke gesagt, aber sie solle es einfach mal ausprobieren. Für mich klingt das nicht esoterisch, sondern wie die Essenz dessen, was wir in unserem Studium gelernt haben: Wir öffnen unsere Herzen dem Objekt.
Es ist ein unfassbar großes Glück, dass Anke an der HAW lehrt.